Erfolgreich verhandeln – Teil 3: Interessen vertreten (Verhandlungsführung für Experten)

Bevor Sie weiterlesen, versuchen Sie sich bitte zwei Verhandlungszenarien vorzustellen:

  • Sie sitzen am Verhandlungstisch und sind neugierig auf die Vorstellungen Ihres Gegenübers und sind sich sicher, dass auch Ihr Gegenüber neugierig auf Sie und Ihre Vorstellungen ist. Sie kennen Ihre Bedürfnisse, Hoffnungen und Bedenken.
  • Ihre Vorstellungen sind ganz klar definierte Punkte, die Sie auf jeden Fall erreichen möchten und Sie sind auf Widerstand vorbereitet. Sie möchten vor allem Details verhandeln.

Welche der beiden Szenen entspricht eher Ihren Erfahrungen? In welcher Verhandlungsatmosphäre würden Sie sich wohler fühlen?

Der Unterschied zwischen den beiden beschriebenen Situation besteht im Verständnis, worüber überhaupt verhandelt wird. Während im ersten Fall die Interessen im Fokus stehen, geht es im zweiten um Positionen. Im heutigen Teil möchte ich Ihnen aufzeigen, was für ein gravierender Unterschied für den Verhandlungsverlauf es macht, für welche der beiden Ansätze Sie sich entscheiden. Interessen vertreten in Verhandlungen

Interessen verbinden – Positionen trennen

Über die Grundlagen einer konsenszentrierten Verhandlung – Kommunikation und Beziehungsaufbau – habe ich ja bereits ausführlich geschrieben. Eine gute Vertrauensbasis ist der Kern dieser beiden Aspekte. Vertrauen ist auch beim Vertreten von Interessen unabdingbar.

Wenn Sie eine Verhandlung beginnen und beide Seiten Ihre Positionen auf den Tisch legen, kann es vorkommen, dass es überhaupt keine Überschneidungen gibt. Schneller kann man sich gar nicht in einer Kampfsituation befinden. Beide Seiten verhandeln in völlig entgegengesetzte Richtungen, ein gemeinsames Ziel ist illusorisch.  Jetzt kann es eigentlich nur noch darum gehen, möglichst wenig von den eigenen Vorstellungen abrücken zu müssen.

Je detaillierter die Punkte sind, die Sie verhandeln, desto weniger Spielraum werden Sie haben. Sie werden so keinesfalls – oder nur sehr mühevoll – rausfinden, ob es nicht doch Gemeinsamkeiten gibt. Sie vergeben sich so die Möglichkeit, schnell zu einem Ergebnis zu kommen, hinter dem beide Seiten auch langfristig stehen können.

Bei Interessen hingegen verhandeln Sie über übergeordnete Bedürfnisse. Interessen kann man auf vielen Wegen erreichen – auch auf Wegen, die Ihnen vielleicht gar noch nicht in den Sinn gekommen sind. Interessen vertreten in Verhandlungen

Worin liegt der Unterschied?

Eine Bürgerinitiative und die lokale Vereinigung der Gewerbetreibenden sitzen zum ersten Mal zusammen. Es geht um die Gestaltung eines Straßenzugs und zweier dazugehöriger Plätze. Versuchen Sie herauszufinden, ob es sich bei den Aussagen um Positionen oder Interessen handelt.

  1. Wir wollen mehr Parkplätze.
  2. Wir möchten eine kundenfreundliche und attraktive Nahversorgung bieten.
  3. Die Anwohner wollen eine verkehrsberuhigte Zone.
  4. Wir möchten unsere Gastgärten länger geöffnet haben.
  5. Die Familien möchten einen Spielplatz
  6. Die Radfahrer brauchen einen sicheren Verkehrsweg

1, 3, 4 und 5 sind Positionen. Diese Punkte beschreiben ganz genau, was geschehen soll. Sie fangen sozusagen mit dem zweiten Schritt an. Positionen sind eigentlich schon die Schritte zur Umsetzung.

So könnten die dahinterliegenden Interessen lauten:

  1. Wir möchten für unsere Kunden gut erreichbar sein.
  2. Die Umsatzeinbrüche im Sommer ohne Gastgarten machen uns und unseren Mitarbeitern Sorgen.
  3. Viele Anwohner leiden unter dem Verkehrslärm und den Gastgärten. Sie können nur bei geschlossenen Fenstern schlafen.
  4. Der nächste Spielplatz ist sehr weit weg. Für die Kinder gibt es keine Freifläche, auf der sich sicher spielen können.

Interessen können viele Positionen hinter sich vereinen. Eine Position dagegen ist unverrückbar. Die Formulierung von Interessen ermöglicht es auch dem Verhandlungspartner eine Lösungsmöglichkeit zu finden. Vielleicht hat die Bürgerinitiative ganz neue Ideen, wie die Interessen der Händler und Händlerinnen umgesetzt werden können und umgekehrt. Zudem kann man sich Interessen auch schrittweise nähern. Eine Position dagegen ist ja schon so klar umrissen, dass Abweichungen immer als Niederlage empfunden werden. Interessen vertreten in Verhandlungen

Die Interessen der anderen

Es ist für alle von uns einfacher, die Bedürfnisse, die Sorgen und Hoffnungen unserer Mitmenschen zu verstehen. Denn wir haben die gleichen Bedürfnisse, Sorgen und Hoffnungen. Schaffen Sie Gemeinsamkeiten, indem Sie sich nicht in Details verrennen. Zeigen Sie statt dessen offen, worum es Ihnen eigentlich geht. Haben Sie Angst, dass Sie durch Ihre Offenheit verletzlich und angreifbar wirken könnten? Dann bemühen Sie sich, die Interessen der anderen Seite herauszufinden. Es macht wenig Sinn, wenn Sie auf verschiedenen Ebenen verhandeln.

Vielleicht erleben Sie eine Überraschung und es stellt sich heraus, dass Sie viele Gemeinsamkeiten haben. Dann sitzen Sie zwar vermutlich noch auf verschiedenen Seiten des Tisches, aber Ihr Fokus geht in die gleiche Richtung.

Interessen herausfinden

Es ist nicht immer leicht, sich von einer Position zu lösen. Zusehr glauben wir, sie ist der einzige Weg, das Ziel zu erreichen. Selbst wenn man den Blick für die Möglichkeiten – nein, es gibt nie nur eine Möglichkeit – öffnen möchte, sind die zugrunde liegenden Interessen nicht offensichtlich. Wie also finden Sie Ihre Interessen und  – falls nötig – die Ihrer Verhandlungspartner heraus?

Zunächst einmal konzentrieren Sie sich auf die fünf menschlichen Grundbedürfnisse:

  1. Sicherheit
  2. Wirtschaftliches Auskommen
  3. Zugehörigkeit
  4. Anerkennung
  5. Selbstbestimmung

Rufen Sie sich immer wieder ins Gedächtnis, dass Sie diese Grundbedürfnisse mit allen Menschen teilen – seien sie auch noch so unterschiedlicher Meinung. Interessen vertreten in Verhandlungen

Es gilt nun nur noch eine ganz einfache Frage zu stellen: Warum?

Warum möchte die Vereinigung der Gewerbetreibenden mehr Parkplätze? Sie möchte für Ihre Kunden gut erreichbar sein. (Wunsch nach wirtschaftliches Auskommen).

Warum will die Bürgerinitiative eine verkehrsberuhigte Zone? Weil die Anwohner im Sommer ihre Fenster öffnen wollen (Wunsch nach Selbstbestimmung).

Würden Sie weiter „warum“ fragen? Warum möchten Sie wirtschaftlichen Erfolg? Warum möchten Sie selbstbestimmt entscheiden können? Natürlich nicht. Weil Sie genau dieselben Bedürfnisse auch haben! Voilà – auf dieser Basis können Sie nun eine gemeinsames Konzept erarbeiten. Interessen vertreten in Verhandlungen

 

Prof. (op) Göran Askeljung, BcEE – ist Geschäftsführer und Senior Trainer bei Askeljung Associates und immediate effects Ltd., Certified Facilitator und Partner von Consensus in NY, und Leitet Consensus Österreich und Deutschland. Er ist Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von WdF. Er war früher u.a. als Managing Director von Microsoft MSN in Österreich und Geschäftsbereichsleiter von Ericsson Data CEE in Wien tätig.

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